“Die unvorstellbare Macht der Trance” /
MEDIZINER IM OKZIDENT und warum der Henker der Heilkundigste war.
Hippokrates von Kos lebte von 460 bis 377 vor Christus und ist allgemein bekannt durch den „Eid des Hippokrates“ (vgl. Sack, Hippokrates, 1927, S. 1 f). Wobei der Nachweis, dass Hippokrates diesen historischen Text verfasst hatte, nicht belegt ist. Die Ärzteschaft schwört heute nicht mehr auf diesen Eid. Zuletzt diente er dem Genfer Gelöbnis als Vorlage, das seit 1948 maßgeblich für die Ärzteschaft ist. Zuletzt wurde das moderne, Genfer Gelöbnis 2017 überarbeitet. Mich fasziniert aber mehr die Person Hippokrates. Es ist fast 2500 Jahre her, dass er über die Natur und den Menschen Erkenntnisse besaß, die heute noch Geltung haben und trotzdem von vielen, selbst von Angehörigen von Heilberufen, ignoriert werden. Hippokrates sagte, dass Kräuter umso stärker wirken, wenn sie von „guten Worten“ begleitet, verabreicht werden, es gut sei, wenn Nahrungsmittel Heil- und die Heilmittel Nahrungsmittel sind und das Bewegung die beste Medizin des Menschen ist. Dass Menschen erkranken, läge einzig daran, dass sie aus Torheit alles tun, um nicht gesund zu bleiben, und Krankheiten wären Folgen fortgesetzter Handlungen, wider der Natur. Hippokrates lehrte, dass die wirksamste Medizin die natürliche Heilkraft im Inneren eines jeden ist und von der Ärzteschaft zu erwarten sei, dass sie vor der Macht des Geistes, Krankheiten zu heilen, Achtung haben. Denn nicht die Ärzteschaft heilt, sondern die Natur. ÄrztInnen sind höchstens ihre getreuen HelferInnen. Sie werden von ihr lernen, aber die Natur niemals vom ihnen (vgl. Sack, Hippokrates, 1927). In seiner Zeit schon wurden Trancemethoden praktiziert. In „Räumen der heilenden Worte“, wie sie genannt wurden, und laut Überlieferungen, mit sensationellen Erfolgen. Obwohl schon 2500 Jahre her, ist die Erkenntnis über die heilende Wirkung der Trance wesentlich älter. Sie wurde schon in Keilschriften der Sumerer erwähnt, vor 6000 Jahren (vgl. Tepperwein, 1977, S. 22 ff.) (vgl. Kapitel 41.3). Um die Gesundheit des Menschen wurde sich seit Anbeginn der ersten Kulturvölker gesorgt. Wir wären mit Sicherheit weiter in der Entwicklung der Heilung, Kräuterkunde, ärztlicher Kunst und Alternativen, wenn sich da nicht die römisch-katholische Kirche eingemischt hätte. Papst Bonifatius VIII. (1235-1303), Papst von 1294-1303, stellte die päpstliche Gewalt über alle weltliche. Er hat, per Erlass, das Sezieren von Leichen verboten, damit die unversehrte Auferstehung des Fleisches gewährleistet bliebe (vgl. Wylegalla, 2010, S. 102). Es wurden trotzdem immer wieder Obduktionen durchgeführt, doch das unangenehme Gefühl des Verbotenen blieb bestehen und hemmte die Entwicklung der Medizin. Somit war die medizinische Entwicklung zum Teil auf Eis gelegt. Übrig blieb der Heilkunde der Beruf des Medikus. Zu den dubiosesten Gestalten der Heilkunde zählten die Bader und Barbiere. Der Bader war der Aufseher der städtischen Bade- und Hurenhäuser. Somit war er Bademeister, Hilfsarzt und städtischer Zuhälter. Beim Barbier wurden, neben Rasur und Haarschnitt, auf barbarische Weise auch Zähne gezogen und Eiterbeulen aufgestochen. Die meisten Menschen starben letztendlich an den Behandlungen und nicht an den Verletzungen an sich. Das gleiche passierte bei Krankheiten. Die Mittel, die manches Mal verabreicht wurden, besaßen unvorstellbar abenteuerliche Zusammenstellungen. Es war die Geburtsstunde der Quacksalber und Scharlatane. Meiner Meinung nach war der Henker der Heilkundigste des Mittelalters. Das ist zu verstehen, wenn man sich um die Hintergründe der Gesetze über das Foltern informiert. Wer schon jemals über das Foltern nach-dachte, der wird zu dem Schluss gekommen sein, dass Foltern unlogisch ist. Unter den archaischen Methoden würde doch jeder alles gestehen? Aber, das war nicht die Regel. Im Mittelalter, als die Folter praktiziert wurde, zwischen dem 13. und 18. Jahrhundert, war das Geständnis die Königin aller Beweismittel. Zeugenaussagen, Beweise und Indizien besaßen nur zweitrangigen Wert. Ohne Geständnis war kaum jemand zu verurteilten (vgl. Meier, 2004). Bis zum Geständnis waren Verdächtige unschuldig! Im Falle eines Geständnisses war es, einen Tag später, ohne Folter, von den entsprechen-den Verdächtigen schriftlich zu bestätigen. Es war Vorschrift, die Folter nur dreimal zu vollziehen. Gab es bis dahin keine Geständnisse, wurden die Verdächtigen freigelassen. Mit der Gesetzgebung nahm man es nicht überall so genau und Willkürhandlungen standen auf der Tagesordnung. Schwer hatten es die Frauen und Männer, die der Hexerei und Zauberei verdächtigt wurden. Durch die „besondere Abscheulichkeit“ ihrer Taten hatten diese Personen, von vornherein, jeglichen Anspruch auf Schutzgesetze verloren. In der üblichen Folter aber galt, bis zum Geständnis der Beschuldigten, die Unschuldsvermutung. Der Henker der jeweiligen Stadt war derjenige, der die Folter durchführte oder sie beaufsichtigte. Die zu Folternden waren, bis zu ihrem Geständnis, unschuldig. Es war unbedingt wichtig, dass die Verdächtigen bei der peinlichen Befragung, wie die Folter genannt wurde, nicht starben. Der Henker wäre in diesem Augenblick verantwortlich für die Tötung von Unschuldigen und in Gefahr, selbst zum Tode verurteilt zu werden. Des-halb war er, damit ihm die Gefolterten nicht unter den Händen wegstarben, aus Selbstschutz, wund- und kräutererfahren. Eine geregelte Ordnung herrschte nicht. Für alle Beteiligten war es eine Gratwanderung, sich mit Heilung und Kräutern auseinanderzusetzen. Eine Grenze, an die man sich annähernd hätte halten können, existierte nicht, und die Heilkundigen waren der Willkür der Kirche, unzähligen Trittbrettfahrern, unfähigen Laienrichtern, korrupten und abergläubischen Dorfvorständen und Stadträten ausgesetzt. Das sind einige der Gründe, warum solch eine Lücke in der Entwicklung der ärztlichen Kunst des Abendlandes klafft und auf welche Vorreiter das beruht. Der seltsamen Ansichten des Mittelalters wegen, ist die Arbeit von mutigen Frauen aus dieser Zeit im Besonderen hervorheben. Obwohl stets die Rede von Ärzten ist, waren schon seit der Antike Frauen in heilkundigen Berufen tätig. Ärztinnen zählten aber zu den Ausnahmen. Darunter, drei-hundert Jahre vor Christus, war Agnodike, die sich in Athen als Mann verkleidete, um Medizin zu studieren, im elften Jahrhundert, die wahrscheinlich erste deutsche Ärztin, Hildegard von Bingen, und im achtzehnten Jahrhundert, die erste deutsche promovierte Ärztin, Dorothea Franke Erxleben. Die Psychologie fand ihren Ursprung schon 350 v. Christus mit Plato, der das Schichtenmodell der Seele entwickelte und Aristoteles, der ein Lehrbuch der Psychologie, „Über die Seele“, schrieb. Erst zum Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich die Psychologie in der Wissenschaft.
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